Entstehungsprozess der Delegation Schulrhythmus

Verfasst von Jörg Heil

1) Der erste Impuls

Der Schulrat beauftragte 2012 eine Delegation, die die Grundlagen fĂŒr eine Ganztagsbetreuung an unserer Schule entwickeln sollte. Diese Delegation besuchte wĂ€hrend ihrer Arbeit die Waldorfschulen in Heidelberg und Pforzheim. Im Juni 2013 stellte die Delegation GTS ein Grobkonzept fĂŒr die Einrichtung einer offenen, teilgebundenen Ganztagsschule vor. Dieses Grobkonzept orientierte sich stark an den Erfahrungen der Waldorfschule Heidelberg. Der Schulrat ĂŒbergab dem Kollegium den Auftrag eine Feinplanung des Ganztagsschulkonzepts vorzunehmen.

Zum Schuljahr 2013/14 machte sich eine Delegation des Kollegiums an die Arbeit. Bei genauerer Betrachtung des Heidelberger Konzepts stellte sich heraus, dass dort der Unterrichtsbetrieb noch gedrĂ€ngter ablĂ€uft als in Karlsruhe, um ab Mitte des Nachmittags Zeit fĂŒr die GTS-Angebote zu bekommen. Dies widersprach deutlich dem Wunsch nach einem entspannteren, durch lĂ€ngere Pausen gegliederten Schulalltag, der sowohl im Schulrat als auch in den Lehrerkonferenzen immer wieder geĂ€ußert wurde.

Diese Problematik wurde von der Kollegiums-Delegation im Schulrat und im Kollegium vorgestellt. Im weiteren Verlauf arbeiteten interessierte Eltern in der Delegation mit. Zum Arbeitsschwerpunkt dieser Delegation wurde die Betrachtung der zeitlichen Struktur des Schultags.

2) Initiativgruppe Tagesrhythmus

Im April besuchte eine Abordnung der Delegation die Waldorfschule Freiburg-Wiehre. Dort wurde ihr der verÀnderte Schulrhythmus und der dazugehörige Prozess vorgestellt.

Die Delegation Ganztagsschule vereinbarte eine Trennung der Themenfelder Ganztagsbetreuung und Tagesrhythmus. Es wurde die Initiativgruppe Tagesrhythmus ins Leben gerufen, die sich intensiv mit dem Rhythmus des Schultags auseinandersetzen wollte.

Diskutiert wurden verschiedene Möglichkeiten das Thema in die Schulgemeinschaft zu tragen, damit sich Eltern, Lehrer und SchĂŒler damit beschĂ€ftigen.

Im Oktober 2014 organisierte die Initiativgruppe die Zukunftswerkstatt „Leben-Rhythmus-Takt“. An diesem Samstag besuchten uns Frau Lenzen und Frau Niebelung aus der Waldorfschule FR-Wiehre um ĂŒber den geĂ€nderten Schulrhythmus  und die Erfahrungen damit zu berichten. Anschließend diskutierten Eltern, Lehrer und eine SchĂŒlerin mögliche Visionen fĂŒr den Tagesrhythmus an unserer Schule. Die Initiativgruppe berichtete ĂŒber die Zukunftswerkstatt im Einblick und im Schulrat.

Das Thema Rhythmus des Schultags wurde vom Kollegium fĂŒr die Weihnachtsklausur im Januar 2015 ausgesucht. Hier diskutierte das Kollegium die Fragen „Was ist nötig, damit die Tagesstruktur in unserer Schule stĂ€rkt und gesundend wirkt? Was stört und schwĂ€cht SchĂŒler (und Lehrer)?“  An­geregt durch die engagierten GesprĂ€che fand sich am Ende der Weihnachtsklausur eine Gruppe aus Lehrern und Hortmitarbeitern zusammen, die das Thema Chronobiologie und Tagesrhythmus gemeinsam mit der Initiativgruppe voranbringen wollte. Seitens der anwesenden Kollegen wurde dieser Gruppe das Vertrauen ausgesprochen, sich mit dem Thema weiter zu beschĂ€ftigen und VorschlĂ€ge zu entwickeln.

Eine Teilgruppe der Initiativgruppe konzipierte, in Anlehnung an Erfahrungen der WS FR-Wiehre, eine Umfrage zu verschiedenen Fragen des Tagesablaufs/der Zeitstruktur des Schultags fĂŒr Eltern der Klassen 1-8/OS-SchĂŒler/Lehrer. Diese wurde im MĂ€rz 2015 verteilt und ab dem Sommer ausgewertet. Die Umfrageergebnisse dienen der heutigen Delegation als Datengrundlage fĂŒr Ihre Überlegungen.

Seit dem FrĂŒhjahr 2014 hatten wir Kontakt zu Prof. Max Moser von der UniversitĂ€t Graz. Er ist ein renommierter Chronobiologe mit anthroposophischem Hintergrund, der auch die WS Klagenfurt und Wiehre bei der Umstellung des Schulrhythmus inhaltlich beraten hatte.

Im MĂ€rz 2015 besuchte Herr Moser unsere Schule und gestaltete VortrĂ€ge fĂŒr die SchĂŒler der Oberstufe, das Kollegium und am Abend fĂŒr interessierte Eltern. Seine AusfĂŒhrungen zielten nicht direkt auf den Rhythmus des Schultags, sondern verdeutlichen allgemein die ZusammenhĂ€nge zwischen verschiedener (Zeit-) Rhythmen und Körperrhythmen (-Funktionen).

3) Delegationsbeauftragung

Unsere Schule arbeitet schon seit einigen Jahren mit „Wege zur QualitĂ€t“, einem speziell auf anthroposophische Einrichtungen zugeschnittenen QualitĂ€ts-Entwicklungsverfahren. Um in einem so großen Schulorganismus wie dem unseren sinnvoll Entscheidungen treffen zu können, sieht „Wege zur QualitĂ€t“ die Einrichtung dynamischer Delegationen mit Entscheidungsbefugnis vor. Eine solche dynamische Delegation hat den Auftrag, ein klar umrissenes Thema oder Problem zu bearbeiten. Die Delegation ist gehalten, wĂ€hrend des Arbeitsprozesses immer wieder mit der Gemeinschaft Kontakt aufzunehmen, um inhaltliche Fragen zu klĂ€ren oder sich beraten zu lassen. Die Entscheidung trifft die Delegation dann unter BerĂŒcksichtigung aller ihr bekannten Aspekte.

Im Laufe des Schuljahrs 2014/15 war der Themenkomplex Schulrhythmus in unterschiedlichsten ZusammenhĂ€ngen in der Schulgemeinschaft prĂ€sent. Da es sich um ein Thema handelt, dass das Profil der Schule berĂŒhrt, war der Schulrat das geeignete Gremium als Delegationsgeber. Im April 2015 wurde daher im Schulrat das Urbild fĂŒr die Delegation erarbeitet. Darauf basierend wurde die Delegation Schulrhythmus im Mai 2015 gegrĂŒndet. Sie besteht aus Eltern, Lehrern und OberstufenschĂŒlern.

Der Auftrag der Delegation wurde wie folgt formuliert:

Was ist der Zweck der Delegation? („Welche Not soll behoben werden?“)

Nachdem ĂŒber lĂ€ngere Zeit im Schulrat und in den Lehrerkonferenzen wiederholt der eng getaktete Ablauf der Schultage und andere UnzulĂ€nglichkeiten im Tagesrhythmus beklagt wurden, soll die Delegation den Tagesrhythmus an unserer Schule gemĂ€ĂŸ den unten genannten Gesichtspunkten neu gestalten.Sie beschließt ĂŒber die EinfĂŒhrung des von ihr erarbeiteten Gesamtkonzepts, das auch eine Verringerung des zeitlichen Unterrichtsumfangs beinhalten kann und begleitet dessen Umsetzung.

Welche grundlegenden Gedanken werden der Delegation mitgegeben?

Das Leben der SchĂŒler entfaltet sich zwischen Schlafen und Wachen, zwischen Phasen geistiger, seelischer, körperlicher AktivitĂ€t und Zeiten der Entspannung, zwischen Familie, Schule und der Teilhabe am allgemeinen (öffentlichen) Leben. Jeder Bereich hat seine eigenen Bedingungen, damit sich die ihm innewohnenden QualitĂ€ten entfalten können. Die Aufgabe der Delegation soll sein, den Bereich des Lebens, der sich in der Schule abspielt, so zu gestalten, dass er sich gesundend auf die Entwicklung der SchĂŒler auswirkt und ein effektives Lernen auf Grundlage der WaldorfpĂ€dagogik ermöglicht. Dabei sind die Auswirkungen auf die Familien und die außerschulischen AktivitĂ€ten der SchĂŒler genauso zu berĂŒcksichtigen wie die sich wandelnden gesellschaftlichen Anforderungen an Schule (z.B. die Frage der Ganztagesbetreuung) und auch die Auswirkung der Arbeitsbedingungen auf die Gesundheit der Lehrer.

Welche Aufgaben ergeben sich im Einzelnen?

  • KompromissfĂ€hige Zeiten fĂŒr Schulbeginn und –ende ermitteln.
  • LĂ€nge der Unterrichtseinheiten und Pausen aufeinander abstimmen.
  • GrĂ¶ĂŸtmögliche RegelmĂ€ĂŸigkeit des Unterrichtsablaufs (Hauptunterricht als erste Unterrichtseinheit, regelmĂ€ĂŸige Mittags- und Endzeiten) ist anzustreben. In diesem Zusammenhang sollte auch die Frage des Umgangs mit UnterrichtsausfĂ€llen entsprechend berĂŒcksichtigt werden.
  • Das Zusammenspiel der einzelnen FĂ€cher in den verschiedenen Altersstufen betrachten und – ohne dass dabei der Charakter / die Grundlage der WaldorfpĂ€dagogik beeintrĂ€chtigt wird – den (zeitlichen) Unterrichtsumfang in Einklang mit den ĂŒbrigen Bedingungen und Anliegen bringen.

Neben der Erarbeitung eines Konzepts fĂŒr einen neuen Tagesrhythmus an der Schule umfasst der Auftrag an die Delegation auch die Begleitung der Umsetzung.

4) Die Arbeit der Delegation

Die neugebildete Delegation begann ihre Arbeit im Juni 2015. Die ersten Treffen dienten dazu sich kennenzulernen und intern die Arbeitsprozesse und -Schritte zu vereinbaren. Erste Zielstellung wurde die SchĂŒler in den Mittelpunkt zu stellen (dabei die Arbeitsbedingungen der Lehrer beachten). Es wurden Untergruppen gebildet, die sich mit folgenden Themen beschĂ€ftigen: Kommunikation/Öffentlichkeitsarbeit, Grundlagen/Recherche, Schulweg, Tagesablauf/Unterrichts-/Pausengestaltung,  Hort/FrĂŒhbetreuung, Auswertung der Umfrage und Prozesshygiene.

Im November 2015 vereinbarten wir als interne Arbeitshypothese mit einem neuen Schulbeginn von 8:30 Uhr zu arbeiten. Diese Uhrzeit war fĂŒr uns ein Kompromiss zwischen dem bestehenden Unterrichtsbeginn, den BedĂŒrfnissen der unterschiedlichen Altersstufen der SchĂŒler und den chronobiologischen Erkenntnissen.

Im weiteren Verlauf war die Delegation viermal Gast in der PĂ€dagogischen Konferenz um mit dem Kollegium die Themenfelder PausenlĂ€nge – und Gestaltung, Hauptunterricht und Fachunterricht zu diskutieren.

Da es in der Frage der PausenlÀnge eine breiten Konsens gab, wurde die VerlÀngerung der Pausen  zur Stufe 1 unseres, im Mai 2016 im Schulrat, vorgestellten Drei-Stufen-Plans.

Bei Beibehaltung der Zeiten fĂŒr den Unterrichtsbeginn und das Unterrichtsende wurden zu Beginn dieses Schuljahrs 2016/17 die Pausen zwischen HU/1.FS und 2./3.FS um jeweils fĂŒnf Minuten verlĂ€ngert. Im Gegenzug wurde der HU und die 3.FS jeweils um 5 Minuten gekĂŒrzt.

Die GrundzĂŒge der Endstufe des Drei-Stufen-Plans sind:

  • spĂ€terer Unterrichtsbeginn
  • VerlĂ€ngerung der Pausen
  • einheitliches Schulende fĂŒr Klassen 1+2, 3+4
  • bis zu 3 x pro Woche Unterricht bis 15:25 Uhr ab Klasse 5
  • gleiche freie Nachmittage fĂŒr Klassen 6-8 und 9-11
  • Spielraum fĂŒr hygienische Stundenplangestaltung
  • UnterrichtskĂŒrzungen in Klassen 6-8
  • Einrichtung einer FrĂŒhbetreuung

Problemstellungen bei der Umsetzung:

  • Raumsituation
  • aktuelle Deputatsverteilung
  • Verkehrssituation

Die Veröffentlichung dieser Zwischenergebnisse entfachte eine lebhafte Diskussion in der Schulgemeinschaft. Deshalb gestalteten wir im Juli 2016 einen Schul-Info-Abend um unsere Arbeit und ihre HintergrĂŒnde zu erlĂ€utern, Fragen zu beantworten und ein Feed-Back zu bekommen.

Neben Zustimmung zu unseren PlÀnen, gab es folgende Fragen/Kritikpunkte:

  • BeeintrĂ€chtigung des morgendlichen Familienlebens/ Betreuungsprobleme vor Schulbeginn
  • Schwierigkeiten fĂŒr nachmittĂ€gliche AktivitĂ€ten bei spĂ€terem Unterrichtsende
  • Kritik an UnterrichtskĂŒrzungen
  • Frage nach Sinn der VerĂ€nderungen
  • Kritik an den Unklarheiten von Stufe 2

Mit den Erkenntnissen aus dem vergangenen Schuljahr 2015/16 sind die nĂ€chsten Schritte der Delegationsarbeit die Erarbeitung eines zeitlichen Modells fĂŒr den Unterrichtsrahmen, unter den aktuellen Rahmenbedingungen (insbesondere der Raumsituation) (Stufe 2). Die hierbei auftretenden Fragen/Modell-Alternativen sollen dann mit dem Kollegium und der Schulgemeinschaft diskutiert werden.

Die Delegation berichtet ĂŒber ihre Arbeitsschwerpunkte und Überlegungen regelmĂ€ĂŸig im Einblick (Schulzeitung), im Schulrat, in der Lehrerkonferenz (GK), im SchulfĂŒhrungskreis und im Vorstand.  Bei Schulveranstaltungen war sie mit Info-StĂ€nden prĂ€sent. Sie hat eine eigene E-Mail-Adresse eingerichtet ĂŒber die sie schriftliche RĂŒckmeldungen aus der Schulgemeinschaft entgegennimmt. In Planung ist die Gestaltung einer eigenen Homepage als Informationsplattform.

Als problematisch fĂŒr die delegationsinterne Arbeit war und ist, dass es (fast) keine Mitarbeit aus dem Unter-/Mittelstufen-Kollegium gibt. Auch haben wir intern lange gebraucht, bis uns klar war, wie wir zu Entscheidungen kommen. Reicht der Eindruck, dass (Teil-)Ergebnisse/Vereinbarungen eine breite Zustimmung  innerhalb der Delegation finden bzw. Konsens sind? Oder bedarf es der Abstimmung ĂŒber klar formulierte BeschlĂŒsse?

Die Delegation hat von Anfang an darauf Wert gelegt, dass keine Vorfestlegung auf ein Ergebnis stattfand. WidersprĂŒchliche Meinungen zĂ€hlen zum Alltag der Delegation – das hindert zwar daran, schnell zu einem Ergebnis zu kommen, ist aber fĂŒr die QualitĂ€t des Ergebnisses hilfreich. Auch zwingt es alle Delegationsteilnehmer immer wieder dazu, die anderen Teilnehmer wert zu schĂ€tzen, und deren abweichende Meinungen und Argumente zu betrachten.

Der Auftrag der Delegation (vereinfacht dargestellt: spĂ€ter anfangen, lĂ€ngere Pausen, nicht viel spĂ€ter aufhören) ist widersprĂŒchlich, und wahrscheinlich nicht ohne UnterrichtskĂŒrzungen (diese in ErwĂ€gung zu ziehen, ist Teil des Auftrags) möglich. Wichtige Aspekte der Delegationsarbeit sind neben den technischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und den (neueren) (chrono-)biologischen Erkenntnissen, auch die anthroposophischen Grundlagen der WaldorfpĂ€dagogik.