Was hat die Chronobiologie mit der Waldorfpädagogik zu tun?

(Beitrag erschienen im März-Einblick 2017)

In den letzten beiden Ausgaben des Einblicks haben wir den Einfluss der Chronotypen und des Schlafs in Bezug auf den Schulrhythmus betrachtet. Abgesehen von diesen recht allgemeingültigen Rahmenbedingungen für einen gesunden Tagesablauf stellt sich die Frage, welche Auswirkungen die Erkenntnisse der Chronobiologie auf die Waldorfpädagogik und somit den konkreten schulischen Alltag unserer Schüler haben.

Dafür stellen wir fest: Die maximale Aufmerksamkeitsspanne ist je nach Alter unterschiedlich lang. Bei jüngeren Schülern beträgt sie ca. 20 Minuten, ab 12-14 Jährigen etwa 30 Minuten. Bei Jugendlichen und Erwachsenen lässt sich ein Aufmerksamkeits-Zyklus von ca. 120 Minuten feststellen, der als Basis-Ruhe-Aktivitäts-Zyklus (BRAC) bezeichnet wird. Die Beobachtungen zeigen, dass nach einer Arbeitsphase von maximal 90 Minuten eine längere Pause von 30 Minuten notwendig ist. Eine Unterrichtseinheit sollte daher maximal 90 Minuten betragen, was derzeit in etwa einer Doppelstunde entspricht, oder in zwei Einheiten á 45 Minuten aufgeteilt wird. Danach sollte eine längere Pause folgen, welche nach Möglichkeit mindestens 15 Minuten lang ist.

BRAC-Zyklus

Ein entscheidendes Prinzip des Waldorflehrplans liegt in der Abstimmung der Unterrichtsinhalte und Unterrichtsformen auf die Prozesse kindlichen Lernens und die Stufen menschlicher Entfaltung in Kindheit und Jugend. Der Unterricht ist von Schulbeginn an auf das Ziel innerer menschlicher Freiheit hin orientiert.
Die Waldorfpädagogik geht in ihrer Erziehungsmethode von einem Menschenbild aus, das jeden Menschen als eine sich selbst bestimmende geistige Persönlichkeit betrachtet. Auf dieses geistige Freiheitswesen (auch Künstler- oder Liebewesen genannt) hat der Lehrer bzw. der Erzieher keinen direkten Einfluss. Er kann nur die Entwicklungsbedingungen entsprechend förderlich oder auch hemmend der sich aus sich selbst entwickelnden Persönlichkeit anbieten.

Zu diesen Entwicklungsbedingungen gehört auch, dass Schüler jeden Alters im Einklang mit ihren jeweiligen Chronotypen leben und lernen können. So ist die Leistungsfähigkeit von Morgentypen bereits am frühen Vormittag gegeben. Viele Studien (auch aus Deutschland) haben jedoch gezeigt, dass Abendtypen durch die in Deutschland üblichen frühen Anfangszeiten der Schule benachteiligt werden, was sich auch deutlich auf die schulischen Leistungen auswirkt.

In Summe zeigt sich somit, dass die Waldorfpädagogik mit der Chronobiologie verzahnt bzw. durch diese beeinflusst ist. Der morgendliche Unterrichtsbeginn ist dabei ein Aspekt, jedoch nicht der einzige. In einer der beiden folgenden Ausgaben des Einblicks werden wir die Bandbreite der für den Schulrhythmus relevanten Faktoren noch etwas umfassender betrachten.

Gisela King
(für die Delegation Schulrhythmus)