Welche Rolle spielt der Schlaf für den Schulrhythmus?

(Beitrag erschienen im Februar-Einblick 2017)

In der letzten Ausgabe des Einblicks haben wir die Rolle der Chronotypen für den Schulrhythmus betrachtet. Da unserer Delegation u.a. der morgendliche Unterrichtsbeginn am Herzen liegt, scheint auch der Schlaf relevant zu sein. Dieser Schein trügt nicht.

So kann der Mensch erst dann einschlafen, wenn er müde ist, wenn also ein gewisser Schlafdruck aufgebaut ist. Das Einsetzen von Müdigkeit hängt mit dem Schlafhormon Melatonin zusammen. Die Bildung von Melatonin setzt gegen Abend ein und erreicht in der Nacht ihren Höhepunkt. Da die Melatoninbildung lichtabhängig ist, wird sie mit dem morgendlichen hellen Licht gestoppt, man wird dann munter.

Die Verschiebung des Chronotyps, wie er im letzten Einblick vorgestellt wurde, führt dazu, dass Jugend­liche später müde werden und dementsprechend spä­ter ins Bett gehen. Untersuchungen haben ergeben, dass der Anteil der Abendtypen von Klassenstufe 5 bis Klassenstufe 9 von 8% auf 35% ansteigt und der Anteil der Morgentypen in der gleichen Zeit von 32% auf 8% sinkt (Vollmer 2012)[1]. Organisatorische Maßnahmen – wie früher ins Bett gehen – helfen nicht, da die Bildung des Schlafhormons bis zu 2 Stunden später als beim Erwachsenen einsetzt und die Schüler dementsprechend einfach nicht einschlafen können; sie können also nichts für ihr Schlafdefizit.

Ein guter Schlaf ist die Grundlage dafür, einerseits ausgeglichen und entspannt durch den Tag gehen zu können und sich andererseits konzentriert mit Neuem beschäftigen zu können. Ausreichend langer und tiefer Nachtschlaf ist die Voraussetzung für die Verankerung und die Umwandlung von Gedächtnisinhalten, so dass man zukünftig leichter lernen und das neu erworbene Wissen auch auf andere Bereiche übertragen kann: Aus implizitem Wissen wird explizites Wissen. Dieses Festigen von Lerninhalten während der Nachtruhe passiert bei Kindern offenbar sogar effektiver als bei Erwachsenen. Die Waldorfpädagogik arbeitet sehr bewusst mit der Nacht und dem Schlaf. Die Unterrichtsinhalte sollen einmal »durch die Nacht gehen«, bevor am nächsten Tag in neuer Weise damit umgegangen werden kann.

Schlafdauer

Bild: Die Schlafdauer von Schülern unserer Schule gemäß einer Umfrage im Jahr 2015.

Das Schlafbedürfnis von Kindern liegt bei 10-11 Stunden, das von Jugendlichen bei 8-9 Stunden. Alle Schüler müssen aufgrund der bisherigen frühen Anfangszeit um 7:45 Uhr gleich früh aufstehen, unabhängig davon, wann sie einschlafen konnten. Damit sinkt die Schlafdauer von Jugendlichen an Schultagen mit zunehmendem Alter immer mehr ab, da die Schüler aufstehen müssen, obwohl sie noch nicht ausgeschlafen haben. Jugendliche sammeln im Laufe der Schulwoche ein Schlafdefizit an. In der 9. Klasse kann dieser sog. soziale Jetlag mehr als 4 Stunde betragen (Vollmer 2012). Lehrer aus der Oberstufe berichten von müden Schülern während des Hauptunterrichtes, die zum Teil sogar einschlafen. Schüler, die erst in der zweiten Hälfte des Hauptunterrichtes wach werden, werden aber auch schon in der ersten Klasse beobachtet.

Ein Leben gegen den eigenen Rhythmus und langfristig mangelnder Schlaf können zu erheblichen Gesundheitsproblemen führen, die auch langfristige Erkrankungen einschließen. Mögliche Folgen sind dann das Nachlassen von Reaktionsvermögen und Gedächtnisleistung, geringere Stresstoleranz und erhöhte Reizbarkeit, Depressionen, aber auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen und erhöhtes Diabetes-Risiko.

Ein gesunder Schlaf leistet somit seinen Beitrag zu einem gesunden Tages- und Schulrhythmus. Im nächsten Einblick widmen wir uns der Frage, was die Chronobiologie eigentlich mit der Waldorfpädagogik zu tun hat und anschließend jener, ob wir wirklich nur von einer veränderten Uhrzeit des Unterrichtsbeginns reden.

Gisela King
(für die Delegation Schulrhythmus)
[1]Christian Vollmer: Zeitgeber des circadianen Rhythmus von Jugendlichen – Quantitative Fragebogenstudie und Unterrichtsevaluation. Dissertation Pädagogische Hochschule Heidelberg, 2012